Glatze und ich beschlossen im folgenden Herbst, nochmals einen Besuch im Val Bavona zu machen. So begaben wir uns anfangs Oktober 1961 nochmals für 2 Tage ins Lagergebiet. Dabei haben wir drei wesentliche Erfahrungen gemacht:
Wir besuchten alle unsere Ansprechpartner vor Ort nochmals: Pöstler, Besitzer des Lebensmittelladens, Bahnhofvorstand, Besitzer der gemieteten Häuser, Wirte-Ehepaar des Ristaurante “La Froda” in Foroglio (auf dessen Terrasse hatten wir ja unser Lagerbüro installiert), sowie ein altes Ehepaar in Sonlèrt (davon aber später).
Alle empfingen uns herzlich und hatten lauter gute Erinnerungen an unser Sola. Überall war es ein wirklich herzliches Wiedersehen. Allerdings waren nur noch wenige “im Tal hinten”: Das Ristaurante “La Froda” in Foroglio war gerade noch den letzten Tag geöffnet für dieses Jahr; die zwei Eheleute in Sonlèrt blieben als einzige den ganzen Winter über im Tal. Alle andern waren bereits für den Winter nach Cavergno gezogen.
Im “Beizli” in Foroglio war die Terrasse leer. Alle Häuser rundherum waren geschlossen. Aber in der kleinen, gemütlichen Wirtsstube brannte ein Feuer im Cheminée, auf dem ein Pfanne mit Polenta dampfte. Nahe daran stand ein runder Tisch mit ein paar Leuten vom Tal, die den Sommerschluss feierten und Tessiner Lieder sangen, dazu natürlich die beiden Wirtsleute, Nino und Lydia Bertoli. Der Lehrer (der Autor Plinio Martini) begleitete mit der Guitarre. Wir waren kaum eingetreten, da wurden zwei weitere Stühle zum runden Tisch geschoben, und wir wurden ganz selbstverständlich aufgefordert, dazu zu kommen, mit zu singen und mit zu essen.
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Restaurant «La Froda» — Foroglio |
Schon das allein war eine sehr ergreifende Situation, in diesem einsamen Tal einfach sofort und bedingungslos voll dazu zu gehören, Teil zu haben und Teil zu sein. Plötzlich fand der Lehrer gar, es wäre für mich eigentlich an der Zeit, “Ticines”, d.h. den lokalen Dialekt zu sprechen. Das war nicht Kritik, sondern Aufmunterung und Zeichen des Dazugehörens. Mein Italienisch war zwar schon recht gut und mehrheitlich verstand ich sogar (dank Französisch- und Rätoromanisch-Kenntnissen) diesen Dialekt. Ich hatte längst mitgekriegt, dass “Tü vin giü?” hiess “Vieni giù?”. Ihn aber auch zu sprechen, hatte ich mich noch nicht getraut.
Erst Jahre später habe ich erkannt, wem ich damals begegnet bin. Ich bin sicher, dieser Lehrer war Plinio Martini, der berühmte Tessiner Schriftsteller. Sein Buch “Il fondo del sacco”, auf deutsch “Nicht Anfang und nicht Ende”, ist Pflichtlektüre für jeden, der die Tessiner Täler und das Maggia- und Bavona-Tal im Besonderen verstehen will. Und ich würde etwas wetten, der darin beschriebene Auswanderer und Rückkehrer ist unser Gastgeber: der “Ingles” von Sonlèrt, Herr Zanini.
Der Schriftsteller Plinio Martini bei «ticinARTE» oder Plinio Martini beim Limmat-Verlag.
Das Buch “Nicht Anfang und nicht Ende” aus dem Limmat-Verlag ist der Schlüssel zum Val Bavona. Siehe auch > “Info”.
⇒ Siehe nächste Seite.
Erich Brauchli v/o Chüngel
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