(aus Coop-Zeitung Nr. 27, vom 1. Juli 2014)
Klimawandel. Wo stehen wir hier und jetzt in der Schweiz in Bezug auf die Klimaveränderung? Die Coopzeitung hat bei den unterschiedlichsten Personen, Firmen und Organisationen nachgefragt.
Franz Bamert
Rebekka Reichlin, Bundesamt für Umwelt
«Das Wasser wird uns nicht ausgehen, denn der grösste Teil unserer Wasserreserven stammt von den Niederschlägen. Mit den steigenden Temperaturen wird sich das Abschmelzen der Gletscher beschleunigen. Mittelfristig wird deshalb mehr Wasser aus vergletscherten Gebieten zufliessen. Erst langfristig, wenn das Gletschereis stark geschrumpft ist, wird der Abfluss aus den vergletscherten Gebieten wieder abnehmen. Die Schweiz verfügt über sehr grosse Wasserreserven. Trotzdem kann es im Sommer bei lange anhaltender Trockenheit lokal zu Wasserknappheit kommen. Mit dem Klimawandel dürften solche Situationen häufiger werden.»
Roland Seiler, Zentralpräsident Schweizerischer Fischerei-Verband SFV
«Der Temperaturanstieg senkt den Sauerstoffgehalt in den Gewässern. Gleichzeitig steigt der Sauerstoffbedarf der Fische durch erhöhte Aktivität. Dies führt bei den Fischen zu Stress, Rückgang der Nahrungsaufnahme, Erhöhung der Anfälligkeit auf Krankheiten, Stoffwechselprobleme, was zum Tod führt. 8 von 55 früher einheimischen Fischarten sind bereits ausgestorben, wobei verschiedene Ursachen anzuführen sind. 70 Prozent der verbliebenen Fischarten sind mehr oder weniger gefährdet und der Klimawandel erhöht die Gefahr des Aussterbens.»
Sandra Helfenstein, Schweizer Bauernverband
«Der Klimawandel ist für die Landwirtschaft in zweierlei Hinsicht eine Herausforderung: Erstens, indem sie ihre Emissionen zum Beispiel beim Ausbringen von Düngern oder mit angepasster Fütterung der Nutztiere reduziert oder bei der Produktion erneuerbarer Energien mithilft. Zweitens, weil sie von den Veränderungen selber stark betroffen ist. So machen uns lange Phasen ohne Regen oder extrem heisse Sommer vermehrt zu schaffen. Andere Wetterextreme wie heftige Hagelstürme, Über- oder Abschwemmungen nehmen ebenfalls zu und bringen Ertragseinbussen oder gar Totalausfälle mit sich.»
Heidi Schwaiger, SAC Schweizer Alpen Club
«Durch die Ausaperung (Schmelzen des ewigen Eises und des Permafrosts) werden gewisse Routen infolge Steinschlag sehr gefährlich oder nicht mehr begehbar. Bergschründe sind öfter schwieriger zu überqueren. Routen auf Gletschern müssen laufend beurteilt und angepasst werden. Quellen (inklusive Gletscherwasser) müssen weiter entfernt gesucht werden. Die Hüttenwege müssen vermehrt neu angelegt werden (Steinschlag, instabile Moränen, Gletscherrückgang).»
Raphael Schwitter, Leiter Fachstelle Gebirgswaldpflege, Maienfeld
«Eine Zunahme Wald schädigender Stürme lässt sich für die Schweiz bereits nachweisen. Auf Bäumen lebende Insekten und Pilze können sich plötzlich zu Schädlingen entwickeln. Im ungünstigen Fall dehnen sie sich in bisher noch unbesiedelte Gebiete aus und verursachen dort gravierende Schäden. Nebst den langsam ablaufenden Veränderungen können häufigere Extremereignisse für den Wald plötzliche Veränderungen bringen (starke Stürme wie Lothar 1999 oder extrem trockene Sommer wie 2003). Wir müssen damit rechnen, dass Fichten in tieferen Lagen häufiger durch Insekten (Borkenkäfer) befallen werden. Fremde Arten (Neophyten) dringen in die Wälder ein und verdrängen einheimische Arten.»
Werner Siegfried, Leiter Fachgruppe Weinbau, Agroscope
«Die Reben blühen vielfach schon anfangs bis Mitte Juni, also 1–2 Wochen früher als vor 20 Jahren. In den letzten 15 Jahren haben beim Blauburgunder die Oechslegrade (der Zuckergehalt der Trauben, Anm. d. Red.) immer wieder neue Rekorde erreicht. In den Jahren 1970–1980 waren Werte von 80–85 Oechslegraden beim Blauburgunder das «höchste der Gefühle». Heute können wir Traubenqualitäten lesen mit 95 bis 100 Oechslegraden. Die Klimaerwärmung erlaubt nun in der Deutschschweiz auch den Anbau von sehr spät reifenden Sorten wie Merlot und Cabernet Sauvignon. Zu den negativen Seiten des Klimawandels gehört eine Zunahme der Niederschlagsmenge während der Vegetationszeit. Die begünstigt das Auftreten von Pilzkrankheiten.»
Daniela Bär, Mitglied der Direktion von Schweiz Tourismus
«Hauptreisegrund unserer Gäste ist das Naturerlebnis in der Schweiz. Vom Klimawandel gleichermassen betroffen sind Mensch und Natur — aus diesem Grund ist der Tourismus gerade in der Schweiz stark betroffen. Wir sehen aber nebst den negativen Auswirkungen auch Chancen: Die Mittelmeerräume erfahren durch die Klimaerwärmung einen signifikanten Anstieg der Temperaturen, was für viele zu unerträglicher Hitze führt; hier bietet die Schweiz mit ihrer alpinen Frische attraktive Alternativen.»
Guido Lichtensteiger, Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen, VSE
«Bisher sind keine Auswirkungen des Klimawandels und des bisherigen Temperaturanstiegs auf die Stromproduktion in der Schweiz festzustellen. Für die langfristige Zukunft (zweite Hälfte oder sogar Ende des Jahrhunderts) wird generell mit einem Rückgang der Jahresproduktion der Wasserkraftwerke, deren Anteil an der Schweizer Stromproduktion 60 Prozent beträgt, gerechnet. Ein Forschungsprojekt unter der Leitung des Geographischen Instituts der Universität Bern (GIUB) und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) hat im Herbst 2011 allerdings die Erkenntnis gewonnen, dass bis 2100 die Stromproduktion in den hoch gelegenen Speicherkraftwerken zurückgehen, die Erzeugung der Kraftwerke in niedrigeren Gebieten jedoch zunehmen wird. Dabei werden für die Zeit nach 2050 jedoch keine konkreten Aussagen gemacht.»
Sabine Alder, Schweizerischer Versicherungsverband
«Klimaveränderung ist in der Elementarschadensversicherung seit einigen Jahren ein grosses Thema. Die mit dem Klimawandel einhergehenden Unwetter-, Hochwasser- und Hagelschäden haben nämlich zugenommen. Im Jahr 1970 beispielsweise betrugen die Zahlungen aus dem Elementarschaden-Pool noch 21 Millionen Franken. Seither stiegen sie kontinuierlich an. Im Katastrophenjahr 2005 waren es 1,049 Milliarden, 2013 120 Millionen. Einerseits nehmen wegen der klimatischen Veränderungen Unwetter an Häufigkeit und Intensität zu, andererseits nimmt die Konzentration der versicherten Werte zu. Das führt zu höheren Schäden. Darum wurde die Schadenssumme pro Schadensfall 2007 von einer auf zwei Milliarden Franken erhöht.»
Damiano Urbinello, Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut.
«Die Anzahl an Hitzetagen sowie Tropennächten wird zunehmen. Bereits bestehende gesundheitliche Probleme können sich verstärken: Hitze kann etwa die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit schwächen sowie zum Hitzetod führen. Eine Analyse der Sterblichkeit in der Schweiz im Hitzesommer 2003 hat ergeben, dass rund 7 Prozent (975 Personen) mehr Todesfälle registriert wurden. In Gesamteuropa wurde die Sterberate auf ungefähr 70'000 Todesfälle geschätzt. Aufgrund der Klimaerwärmung ist mit einer Zunahme von bereits bestehenden oder neu vorkommenden Infektionskrankheiten zu rechnen, wie etwa Salmonellose, West-Nil-Virus, Chikungunya und Dengue.»
Sende ein E-mail an Erich Brauchli für Kommentare jeder Art, für hochauflösende elektronische Kopie oder Papier-Abzüge.