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Journalistin Natascha Knecht auf dem ‟Sentiero della Transumanza”.
Im Val Bavona ist Kulturland rar: Um nicht zu verhungern, mussten Bewohner einst Steintreppen bauen, damit sie Erde auf die Steinblöcke bringen und ein paar Quadratmeter Anbaufläche gewinnen konnten.
Überall Steine. Überall Felsblöcke. Kreuz und quer liegen sie auf dem spärlichen Kulturland verstreut. Viele in der Grösse von Wohnhausern, als hätte es über dem Tal Steine geregnet. Dass man im Val Bavona richtig gemütlich wandern kann, würde auf den ersten Blick wohl keiner erwarten. Von Locarno aus dauert die Anreise lediglich eine halbe Stunde. Man fahrt das Maggiatal hinauf bis Bignasco, biegt in das westliche Seitental ab und wird von Felswänden empfangen, die so nah und jäh emporschrecken, dass man den Kopf tief in den Nacken legen muss, um wenigstens einen Streifen Himmel zu sehen. Tief unter der Strasse rauscht das Wasser der Bavona. Dann, einige Kurven weiter, wird der enge Talkessel breiter, das Licht heller, das Terrain grüner. Aber es bleibt schroff. Während im milden Klima Locarnos Palmen wachsen und entlang der mondänen Seepromenade lebensfrohe Italianità vorherrscht, zeigt sich im dreissig Kilometer entfernten Val Bavona das andere Gesicht des Tessins: alpine Kargheit, kein Stromnetz, keine Kanalisation. Eine Welt, die man hierzulande eigentlich versunken glaubt. Langsam fahren wir das Tal hinauf bis zum Dörfchen Foroglio (684 m u.M.). In den eng aneinandergebauten Rustici leben im Sommer hundert Personen. Jetzt im Herbst sind schon deutlich weniger Bewohner da, und zwischen November und März wird es verlassen sein, so wie das ganze Tal.
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