ProSenectute: Seniorenausflug 2019

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Die Im­pe­ria ist eine Sta­tue im Ha­fen von Kon­stanz am Bo­den­see, ent­wor­fen und aus­ge­führt von dem Bild­hau­er Pe­ter Lenk und 1993 auf­ge­stellt. Die Fi­gur ist aus Be­ton ge­gos­sen, neun Me­ter hoch, 18 Ton­nen schwer und dreht sich mit Hil­fe eines Rund­ti­sches in­ner­halb von vier Mi­nu­ten ein­mal um die eige­ne Ach­se. In ih­rem Soc­kel ist eine Pe­gel­mess­sta­ti­on in­te­griert, die von einem be­geh­ba­ren Steg um­ge­ben ist.

«Imperia»
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Symbolik

Die Sta­tue der Im­pe­ria ist eine sa­ti­ri­sche An­spie­lung an das Kon­zil von Kon­stanz (1414-1418). Sie stellt eine üp­pi­ge Kur­ti­sa­ne dar, der ein tie­fes De­kol­le­t­ und ein Um­hang, der nur von einem Gür­tel not­dürf­tig ge­schlos­sen wird, ein­deu­ti­ge ero­ti­sche Aus­strah­lung ver­lei­hen.

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Auf ih­ren er­ho­be­nen Hän­den trägt sie zwei zwer­gen­haf­te nack­te Männ­lein. Der Mann in ih­rer rech­ten Hand trägt auf sei­nem Haupt die Reichs­kro­ne eines Kai­sers und hält einen Reichs­ap­fel in der Hand; die Fi­gur in ih­rer Lin­ken trägt eine päpst­li­che Tia­ra und sitzt mit über­ein­an­der­ge­schla­ge­nen Bei­nen. Es ist nicht ein­deu­tig, ob die Fi­gu­ren Por­traits von den Macht­ha­bern zur Zeit des Kon­stan­zer Kon­zils, Kai­ser Si­gis­mund und Papst Mar­tin Ⅴ., dar­stel­len, oder ob sie all­ge­mein als Per­so­ni­fi­ka­tio­nen die welt­li­che und die geist­li­che Macht re­präsen­tie­ren sol­len. Der Künst­ler selbst sieht sie als nack­te Gauk­ler, die sich die In­sig­ni­en der Macht wi­der­recht­lich auf­ge­setzt ha­ben.

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Die­se Fi­gu­ren­kon­stel­la­ti­on er­in­nert an die an­geb­li­che Mät­res­sen­herr­schaft, die der rö­mi­schen Amts­kir­che von ih­ren hef­tig­sten Kri­ti­kern zu man­chen Zei­ten vor­ge­wor­fen wur­de. Auch das Pat­riar­chat, das über Jahr­hun­der­te hin­weg so­wohl in der Po­li­tik wie in der Kir­che herrsch­te, wird aufs Korn ge­nom­men: Kai­ser und Papst sind Spiel­ball ih­rer eige­nen Li­bi­do; die mäch­tig­sten Män­ner wer­den von ih­ren nied­rig­sten Trie­ben be­herrscht. Im­pe­ria, als Ver­kör­pe­rung der (kör­per­li­chen) Lie­be, er­scheint als die eigent­lich mäch­ti­ge Fi­gur.

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Auch des al­ten Mär­chen­stoffs «Des Kai­sers neue Klei­der» be­dient sich das Kunst­werk: Der Kopf­schmuck von Im­pe­ria ist eine Art Nar­ren­kap­pe mit Schel­len — Im­pe­ria nimmt also nicht nur die Rol­le der in­tri­gan­ten Kur­ti­sa­ne ein, son­dern auch die des Hof­nar­ren, der das Spiel der Mäch­ti­gen durch­schaut und auf die Schip­pe nimmt. Die Mäch­ti­gen, wenn sie ih­rer wür­di­gen Amts­tracht be­raubt wer­den, sind nur noch lächer­li­che Witz­fi­gu­ren.

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Stoff der Geschichte

Peter Lenk ent­nahm das un­mit­tel­ba­re li­te­ra­ri­sche Vor­bild für die Sta­tue einer Er­zäh­lung von Ho­no­ré de Bal­zac. In sei­ner fri­vo­len Er­zàh­lung «La bel­le Im­pé­ria» (er­schie­nen in den Toll­drei­sten Ge­schich­ten, 1832-1837) ist die schö­ne Im­pe­ria eine Kur­ti­sa­ne, die zum Kon­zil in Kon­stanz weilt. Im­pe­ria ist die Ge­lieb­te von «Kar­di­nä­len, Wür­den­trä­gern, Für­sten und Mark­gra­fen» und ent­puppt sich als heim­li­che Herr­sche­rin des Kon­zils: «Die Höch­sten wie die Kühn­sten um­war­ben sie, ein Wink von ihr konn­te einem das Le­ben kos­ten, und selbst un­er­bitt­li­che Tu­gend­bol­de kro­chen bei ihr auf den Leim und tanz­ten gleich den an­dern nach ih­rer Pfei­fe.» Bal­zac nimmt die Dop­pel­mo­ral der Geist­li­chen der Ka­tho­li­schen Kir­che aufs Korn. Top Die Hel­den sei­ner Er­zäh­lung sind die sin­nen­freu­di­ge Im­pe­ria und ein “ar­mes Pfäff­lein”, ein jun­ger, nai­ver Geist­li­cher, der sich in sie ver­liebt.

Lovis Corinth:Die schöne Frau Imperia

Lo­vis Co­rinth: Die schö­ne Frau Im­pe­ria

Lovis Corinth:Die schöne Frau Imperia

Lo­vis Co­rinth: Die schö­ne Frau Im­pe­ria

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Balzacs Er­zäh­lung be­ruht auf li­te­ra­ri­schen Quel­len, die mit einer his­to­ri­schen Per­son in Ver­bin­dung ge­bracht wer­den. Be­vor Bal­zac sich des Stof­fes be­dien­te, trat Im­pe­ria be­reits bei den Schrift­stel­lern ‘Mat­teo Ban­del­lo’, ‘Joa­chim du Bel­lay’ und ‘Franç­ois Béroal­de de Ver­vil­le’ als li­te­ra­ri­sier­te Fi­gur auf. Die his­to­ri­sche Per­son, auf die die li­te­ra­ri­sche Tra­di­ti­on sich be­zieht, war ‘Lu­cre­zia de Pa­ris’ (1455/1485-1511). Lu­cre­zia leb­te al­ler­dings fast ein Jahr­hun­dert nach dem Kon­zil — ihr dor­ti­ges Auf­tre­ten als Top Kur­ti­sa­ne ist eine Er­fin­dung Bal­zacs. Die his­to­ri­sche Lu­cre­zia war eine ge­bil­de­te Ita­lie­ne­rin, die zu Leb­zei­ten be­r­hmt war und in die Li­te­ra­tur und Ge­schichts­schrei­bung der ita­lie­ni­schen Re­nais­san­ce ein­ging. Pie­tro Are­ti­no r­hm­te ih­re Bil­dung: “Sie weiss aus­wen­dig den gan­zen Pe­trar­ca und Boc­cac­cio und zahl­lo­se schö­ne la­tei­ni­sche Ver­se aus Ver­gil, Ho­raz, Ovid und tau­send an­de­ren Auto­ren.” Lu­cre­zia scheint, so ma­chen die Zeit­ge­nos­sen glau­ben, eine ein­fluss­rei­che Ge­lieb­te von hoch­ran­gi­gen Kle­ri­kern ge­we­sen zu sein.

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Die Er­zäh­lung Bal­zacs wur­de vor Lenks Im­pe­ria-Sta­tue in meh­re­ren Kunst­wer­ken auf­ge­grif­fen: Lo­vis Co­rinth schuf 1925 das fri­vo­le Ge­mäl­de «Die schö­ne Frau Im­pe­ria», das die ers­te Be­geg­nung zwi­schen Im­pe­ria und dem “ar­men Pfäff­lein” zeigt. 1927 ver­ton­te Fran­co Al­fa­no die Er­zäh­lung in der Oper «Ma­don­na Im­pe­ria».

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Der his­to­ri­sche Hin­ter­grund der Kon­zils­pros­ti­tu­ier­ten ist kei­ne Er­fin­dung: Zur Zeit des Kon­zils, das vier Jah­re dau­er­te, leb­ten ne­ben der Kon­stan­zer Stadt­be­völ­ke­rung, die da­mals zwi­schen 5'000 und 7'000 Men­schen zähl­te, zeit­wei­lig bis zu 30'000 Geist­li­che und Fürs­ten samt ihren Be­diens­te­ten, Kauf­leu­te, Hand­wer­ker, Gast­wir­te usw. in der Stadt. Zu­dem bo­ten wäh­rend des Kon­zils auch eine gan­ze An­zahl an Pros­ti­tu­ier­ten ih­re Diens­te an. Top Der Kon­zils­chro­nist Ul­rich Ri­chen­tal be­rich­tet: “Öf­fent­li­che Hu­ren in den Hu­ren­häu­sern und sol­che, die sel­ber Häu­ser ge­mie­tet hat­ten und in den Stäl­len la­gen oder wo sie woll­ten, de­ren gab es über 700, oh­ne die ‘Heim­li­chen’, die las­se ich un­ge­zählt.” Ne­ben ge­wöhn­li­chen Bor­del­len (eines soll um die 30 Pros­ti­tu­ier­te um­fasst ha­ben) gab es auch “ge­ho­be­ne­re” Kur­ti­sa­nen, die sich eige­ne Häu­ser mie­te­ten. Von sei­nen Er­leb­nis­sen in den Kon­stan­zer Bor­del­len be­rich­tet auch der Dich­ter und Dip­lo­mat Os­wald von Wol­ken­stein.

Siehe auch:
⇒ Wikipedia: Imperia
«https://de.wikipedia.org/wiki/Imperia_(Statue)»
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Erich Brauchli
Erich Brauchli (erich@brauchli.eu) für Kom­men­ta­re je­der Art, für ho­chauf­lö­sen­de elek­tro­ni­sche Ko­pie oder Pa­pier-Ab­zü­ge (auch Post­kar­te oder bis A3).