Der russische Präsident Medwedew erwies am 22. September 2009 dem General Suworow am Russendenkmal in der Schöllenenschlucht die Ehre. 1799 hatte der russische Heerführer den Gotthard überquert. Doch der Feldzug war miserabel geplant.
Der russische General Alexander Wassiljewitsch Suworow war 70 Jahre alt; in einer Sänfte liess er sich über die steilen Pässe tragen. Zwölf Tage dauerte sein Zug durch die Schweizer Alpen, vom 24. September bis zum 10. Oktober 1799. Er galt als genialer Stratege des 18. Jahrhunderts; viele wichtige Schlachten hatte er gewonnen, gegen Türken und Polen. Er galt praktisch als unbesiegbar. Doch auf seiner letzten Kampagne führte Suworow eine ganze Armee ins Nirgendwo.
Die russischen Truppen — es waren anfänglich 21'000 Mann mit schwerer Ausrüstung auf Lasttieren — sollten von Norditalien über den Gotthard und in Richtung Zürich marschieren, um die Franzosen aus der Schweiz zu vertreiben. Doch das kurzfristig angeordnete Unternehmen war schlecht geplant.
Als Suworow den Gotthard überwunden hatte — es gab unterwegs auch schon Gefechte mit den Franzosen, unter anderem bei der Teufelsbrücke —, musste er feststellen, dass er in einer Sackgasse gelandet war. Am Urnersees gab es zu jener Zeit noch keinen Weg, weder am linken noch am rechten Ufer. Man konnte von Altdorf nur zu Schiff in Richtung Brunnen gelangen — aber die Franzosen hatten alle Boote weggebracht. Suworow entschied sich, über den Kinzigpass ins Muotatal auszuweichen.
Für die Mannschaft bedeutete das einen weiteren schweren Marsch in steilem Gelände. Es fiel nun auch schon der erste Schnee, und viele Soldaten hatten nur noch Fetzen an den Füssen. Wenn sie einen Bauern sahen, packten sie ihn und zogen ihm die Schuhe aus. In den Häusern am Weg verlangten sie zu essen; die Vorräte der Bauern reichten natürlich nicht für eine ganze Armee. Die Soldaten waren durchnässt, hungrig und erschöpft. So rutschte Suworows Armee im Schneematsch über Alpwiesen und Felsen, mit Tieren und Kanonen und sonstigem Gepäck.
Am 27. September erreichten die ersten Russen Muotathal. Der Ort und die ganze Talschaft wurden von der russischen Armee geradezu überschwemmt — die Zahl der russischen Soldaten war viel höher als die der Einwohner. Suworow bezog mit seinem Stab Quartier im Frauenkloster, manche Russen kamen in Häusern und Ställen unter, viele mussten aber im Freien kampieren. Franzosen waren nur wenige im Tal; sie wurden vertrieben oder niedergemacht. Einheimische dienten den Russen dabei zuweilen als Führer im Gelände.
Im Prinzip war die Bevölkerung den Russen freundlich gesinnt; man sah in ihnen offenbar christliche Verbündete gegen den napoleonischen Ungeist. Aber bis heute gibt es, so berichtet eine junge Einheimische, im Muotathal die vielsagende, als Beleidigung gemeinte Redewendung: «Gseesch us wie en Russ!» Nach einigen Berichten schenkten die Bauern den Russen Lebensmittel, nach andern kauften die Russen zum üblichen Marktpreis, nach wieder andern plünderten sie und nahmen, was sie brauchten. Es habe keine Übergriffe gegen Frauen gegeben, behauptet ein Geschichtsschreiber.
Suworow musste nun feststellen, dass sein strapaziöser Zug über die Alpen ganz umsonst war. Denn er erfuhr, dass die Zweite Schlacht von Zürich schon stattgefunden hatte — ohne ihn. Am 25. und 26. September waren die Truppen des russischen Generals Korsakow von den Franzosen unter General Masséna schwer geschlagen worden. Das meldete ein soeben aus Zürich angereister Käsehändler. Suworow wollte den Überbringer der schlechten Nachricht sogleich erschiessen lassen — die Äbtissin rettete den armen Mann.
Am 29. September beschloss Suworow den Rückzug in Richtung Glarner- und Bündnerland. Die Franzosen waren schon dabei, die Russen im Muotathal von allen Seiten zu umzingeln. Am 30. September stiessen sie von Schwyz gegen Muotathal vor; sie konnten aber zurückgedrängt werden. Gekämpft wurde mit Gewehr und Bajonett, mit Säbel und Spiess, zu Fuss und zu Pferd. Auf der «steinernen Brücke» und auf den schmalen Wegen am Eingang der Muotaschlucht entstand ein unglaubliches Gedränge; angeblich fielen die fliehenden Franzosen zu Hunderten ins Wasser.
Die russischen Truppen mussten noch den Pragel- und den Panixerpass überwinden, immer wieder gegen die Franzosen kämpfend, die sie auch im Glarnerland wieder von allen Seiten bedrängten. Angeblich versenkten die Russen ihre Kriegskasse bei einem feindlichen Angriff im Klöntalersee; dieses Gerücht beflügelt bis heute die Phantasie mancher Schatzsucher.
Auf dem zwölftägigen Zug durch die Schweizer Alpen schwand Suworows Truppe von 21'000 auf 17'000 Mann – und das, obwohl es nie zu einer grossen Feldschlacht kam. 4'000 wurden getötet oder verwundet, im Gefecht von Muotathal und bei kleineren Scharmützeln unterwegs, oder sie stürzten im Gebirge ab. Nur mit Not gelang es Suworow, seine Armee zu retten. Sein Feldzug durch die Schweizer Alpen war das schmachvolle Ende der glänzenden Laufbahn eines ruhmreichen Feldherrn.
Diese Zusammenfassung beruht im Wesentlichen auf der ausführlichen Darstellung von Rudolf von Reding-Biberegg: Der Zug Suworoff's durch die Schweiz (mit Karten) in: Der Geschichtsfreund, Ⅼ. Band, Stans, 1895. Das Buch ist immer noch lesenswert.
Vor dem Marsch über den Panixerpass übernachtete General Soworow mit seiner Armee vom 5. auf den 6. Oktober 1799 in Elm.
Siehe auch: ➔ www.nzz.ch/suworow-feldzug-alpen-schweiz-1.3623879 NZZ vom 22. September 2009.
Siehe auch: ➔ www.kulturwege-schweiz.ch/fileadmin/routen/viasuworow/pdf/Reisebeschreibung_ViaSuworow.pdf Kultur-Weg.
Siehe auch: ➔ www.suworow.ch/images/suworow_geschichte.pdf ein Stück Geschichte.
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