Hospiz_150 |
«Kein schöner Land…» — ein Lied, das wie ein Ritual zu den Pfadianlässen gehört, beendete als Rundgesang die Feier in der Vadiana. (Bild: Urs Jaudas) |
Ohrwürmer für das Stadtarchiv: Die Hospiz-Pfadfinder übergaben dem Stadtarchivar Marcel Mayer den «Tante Klara-Song» und weitere Originalpartituren, die der Musiker Hans Moeckel einst als junger Pfadi für die Hospizler geschrieben hatte.
Was ist nur mit Tante Klara los? 1942, auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs, hat sie nichts anderes im Sinn, als Lebensmittel zu hamstern. Doch während sie sich am Tag an ihren gehorteten Salami macht, plagt sie das Gewissen in der Nacht. Träume und der Besuch eines Pfadilagers bringen sie auf den rechten Weg, schliesslich gar zum Frauen-Hilfsdienst der Armee, in dem sie schliesslich zur Kompagnie-Mutter avanciert.
Die Geschichte von Tante Klara war dem damals neunzehnjährigen Hans Moeckel eingefallen, einem ebenso begeisterten Pfadfinder wie Musiker. Er machte daraus die Heldin der beiden Unterhaltungsabende, die Ende März über die Bühne des Schützengartens gingen. Bestanden die Abende in früheren Zeiten aus einer Reihe lose aneinandergereihter Produktionen, gab ihnen Hans Moeckel einen roten Faden, schliesslich gar die Gestalt eines Musicals. Mit Songs, die die Aktiven nie mehr vergessen haben, sondern bis heute nachklingen. Ganz nach dem Motto der Titelmelodie «Tante Klara lebe lange!»
An diese grosse Zeit der Unterhaltungsabende erinnerte sich Curt Wild, als das Theater St. Gallen 2010 das Musical Bibi Balù auf den Spielplan setzte. Mit dieser Gaunerkomödie hatte sich Moeckel, inzwischen zum Profi-Musiker geworden, 1964 seinen Ruf als nationaler Musical-Meister gesichert. Und die Wiederaufnahme in St. Gallen zeigte vor zwei Jahren, dass das Stück nichts an Witz und Schwung verloren hatte.
Als Hospizler erinnerte sich Curt Wild bei Bibi Balù allerdings nicht nur an seinen Kollegen mit dem zwitschernden Pfadinamen Gimpel. Noch mehr interessierte ihn, wo die Noten aus der Zeit der legendären Unterhaltungsabende geblieben waren. Die Suche war erfolgreich. Aufgetaucht sind nicht nur die Originalhandschriften von Hans Moeckel, sondern auch jene seines musikalischen Nachfolgers Rudolf Steger. Curt Wild seinerseits trug diese Akten nicht nur zusammen, sondern sicherte ihnen auch einen würdigen Platz im Stadtarchiv: quasi als Hospiz für «Tante Klara».
Am Samstagnachmittag fand die feierliche Übergabe an Stadtarchivar Marcel Mayer statt. Eine Begegnung, die eine grosse Schar von alt Pfadfindern im Vortragssaal der Vadiana zusammenführte. Ein Anlass, der aber auch die schwierige Zeit des Weltkriegs in Erinnerung rief. Denn ein Grund für den grossen Erfolg der Unterhaltungsabende lag ja darin, dass sie einen Kontrast bildeten zu dem, was tagtäglich von den Kriegsschauplätzen zu hören war.
In einer Zeit der Lebensmittel-Rationierung gehörte auch das dazu: die 1700 Schinkenbrote, die an den beiden Familienabenden von 1941 verzehrt wurden. «Der Unterschied zwischen dem Leben bei uns und der Wirklichkeit ausserhalb unserer Landesgrenze könnte nicht drastischer geschildert werden», sagte Curt Wild bei der Feier; «der Freiraum Pfadfinder half uns, die Tragödie im Ausland wegzustecken. Erst mit der Betreuung der Kriegswaisen, die nach dem Krieg für längere Wochen Ferien in die Schweiz kamen, erkannte man so richtig die Grausamkeit des Krieges.»
Bei der Übergabefeier erinnerte der Obmann des Altpfadfinder-Verbandes, Marco Bosshardt, an den früher noch wenig reglementierten Pfadibetrieb; Rudolf Steger an die musikalische Vers- und Notenschmiede.
Stadtarchivar Marcel Mayer wies in seinem Dank auf die Bedeutung solcher Archivbestände hin; zeigen sie doch, wie früher der Alltag bewältigt wurde. Zu den bleibenden Werten gehörte der abschliessende, mit den aktiven Pfadi angestimmte Rundgesang «Kein schöner Land in dieser Zeit», der über Generationen hinweg weiterklingt.
Diesen Artikel finden Sie auf St.Galler Tagblatt Online unter:
http://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/stadt/Tante-Klara-und-ihr-Hospiz;art186,2929192,PRINT?_33
© St.Galler Tagblatt AG
Sende ein E-mail an Erich Brauchli v/o Chüngel (erich@brauchli.eu) für Kommentare jeder Art, für hochauflösende elektronische Kopie oder Papier-Abzüge.