Pfadfinder Hospiz

Rundgesang

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«Kein schöner Land…» — ein Lied, das wie ein Ri­tu­al zu den Pfa­di­an­läs­sen ge­hört, be­en­de­te als Rund­ge­sang die Fei­er in der Va­dia­na.   (Bild: Urs Jaudas)

St.Galler Tagblatt Online vom 3. April 2012

«Tante Klara» und ihr Hospiz

Bericht zur Übergabe der Musikakten an die Stadtbibliothek VADIANA

Ohr­wür­mer für das Stadt­ar­chiv: Die Hos­piz-Pfad­fin­der über­ga­ben dem Stadt­ar­chi­var Mar­cel May­er den «Tan­te Kla­ra-Song» und wei­te­re Ori­gi­nal­par­ti­tu­ren, die der Mu­si­ker Hans Moec­kel einst als jun­ger Pfa­di für die Hos­piz­ler ge­schrie­ben hat­te.

Was ist nur mit Tan­te Kla­ra los? 1942, auf dem Hö­he­punkt des Zwei­ten Welt­kriegs, hat sie nichts an­de­res im Sinn, als Le­bens­mit­tel zu ham­stern. Doch wäh­rend sie sich am Tag an ih­ren ge­hor­te­ten Sa­la­mi macht, plagt sie das Ge­wis­sen in der Nacht. Träu­me und der Be­such eines Pfa­di­la­gers brin­gen sie auf den rech­ten Weg, schliess­lich gar zum Frau­en-Hilfs­dienst der Ar­mee, in dem sie schliess­lich zur Kom­pa­gnie-Mut­ter avan­ciert.

Bibi Balù

Die Ge­schich­te von Tan­te Kla­ra war dem da­mals neun­zehn­jäh­ri­gen Hans Moec­kel ein­ge­fal­len, einem eben­so be­gei­ster­ten Pfad­fin­der wie Mu­si­ker. Er mach­te dar­aus die Hel­din der bei­den Un­ter­hal­tungs­aben­de, die En­de März über die Büh­ne des Schüt­zen­gar­tens gin­gen. Bes­tan­den die Aben­de in frü­he­ren Zei­ten aus einer Rei­he lo­se an­ein­an­der­ge­reih­ter Pro­duk­tio­nen, gab ih­nen Hans Moec­kel einen ro­ten Fa­den, schliess­lich gar die Ge­stalt eines Mu­si­cals. Mit Songs, die die Ak­ti­ven nie mehr ver­ges­sen ha­ben, son­dern bis heu­te nach­klin­gen. Ganz nach dem Mot­to der Ti­tel­me­lo­die «Tan­te Kla­ra le­be lan­ge!»

Auf Aktensuche

An die­se gros­se Zeit der Un­ter­hal­tungs­aben­de er­in­ner­te sich Curt Wild, als das Thea­ter St. Gal­len 2010 das Mu­si­cal Bi­bi Ba­lù auf den Spiel­plan setz­te. Mit die­ser Gau­ner­ko­mö­die hat­te sich Moec­kel, in­zwi­schen zum Pro­fi-Mu­si­ker ge­wor­den, 1964 sei­nen Ruf als na­tio­na­ler Mu­si­cal-Mei­ster ge­si­chert. Und die Wie­der­auf­nah­me in St. Gal­len zeig­te vor zwei Jah­ren, dass das Stück nichts an Witz und Schwung ver­lo­ren hat­te.

Als Hos­piz­ler er­in­ner­te sich Curt Wild bei Bi­bi Ba­lù al­ler­dings nicht nur an sei­nen Kol­le­gen mit dem zwit­schern­den Pfa­di­na­men Gim­pel. Noch mehr in­ter­es­sier­te ihn, wo die No­ten aus der Zeit der le­gen­dä­ren Un­ter­hal­tungs­aben­de ge­blie­ben wa­ren. Die Su­che war er­folg­reich. Auf­ge­taucht sind nicht nur die Ori­gi­nal­hand­schrif­ten von Hans Moec­kel, son­dern auch je­ne sei­nes mu­si­ka­li­schen Nach­fol­gers Ru­dolf Ste­ger. Curt Wild sei­ner­seits trug die­se Ak­ten nicht nur zu­sam­men, son­dern si­cher­te ih­nen auch einen wür­di­gen Platz im Stadt­ar­chiv: qua­si als Hos­piz für «Tan­te Kla­ra».

1700 Schinkenbrote

Am Sams­tag­nach­mit­tag fand die fei­er­li­che Über­ga­be an Stadt­ar­chi­var Mar­cel May­er statt. Eine Be­geg­nung, die eine gros­se Schar von alt Pfad­fin­dern im Vor­trags­saal der Va­dia­na zu­sam­men­führ­te. Ein An­lass, der aber auch die schwie­ri­ge Zeit des Welt­kriegs in Er­in­ne­rung rief. Denn ein Grund für den gros­sen Er­folg der Un­ter­hal­tungs­aben­de lag ja dar­in, dass sie einen Kon­trast bil­de­ten zu dem, was tag­täg­lich von den Kriegs­schau­plät­zen zu hö­ren war.

In einer Zeit der Le­bens­mit­tel-Ra­tio­nie­rung ge­hör­te auch das da­zu: die 1700 Schin­ken­bro­te, die an den bei­den Fa­mi­li­en­aben­den von 1941 ver­zehrt wur­den. «Der Un­ter­schied zwi­schen dem Le­ben bei uns und der Wirk­lich­keit aus­ser­halb un­se­rer Lan­des­gren­ze könn­te nicht dras­ti­scher ge­schil­dert wer­den», sag­te Curt Wild bei der Fei­er; «der Frei­raum Pfad­fin­der half uns, die Tra­gö­die im Aus­land weg­zu­stec­ken. Erst mit der Be­treu­ung der Kriegs­wai­sen, die nach dem Krieg für län­ge­re Wo­chen Fe­ri­en in die Schweiz ka­men, er­kann­te man so rich­tig die Grau­sam­keit des Krie­ges.»

Bei der Über­ga­be­fei­er er­in­ner­te der Ob­mann des Alt­pfad­fin­der-Ver­ban­des, Mar­co Boss­hardt, an den frü­her noch we­nig re­gle­men­tier­ten Pfa­di­be­trieb; Ru­dolf Ste­ger an die mu­si­ka­li­sche Vers- und No­ten­schmie­de.

«Kein schöner»

Stadt­ar­chi­var Mar­cel May­er wies in sei­nem Dank auf die Be­deu­tung sol­cher Ar­chiv­be­stän­de hin; zei­gen sie doch, wie frü­her der All­tag be­wäl­tigt wur­de. Zu den blei­ben­den Wer­ten ge­hör­te der ab­schlies­sen­de, mit den ak­ti­ven Pfa­di an­ge­stimm­te Rund­ge­sang «Kein schö­ner Land in die­ser Zeit», der über Ge­ne­ra­tio­nen hin­weg wei­ter­klingt.

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