Aufruf
zur
Unterstützung von Elm.
Der Schweizerische Bundesrath
an
das Schweizervolk.
Getreue, liebe Eidgenossen!
Nachdem die Hoffnungen, welche der diesjährige schöne Stand der Früchte des Bodens allgemein erweckte, durch Hagelschlag und Hochwasser vielerorts wieder vernichtet worden sind, war der Kanton Glarus, immer einer der Ersten, wo es gilt, eingetretene Noth zu lindern, eben daran, den geschädigten Miteidgenossen seine Hilfe zu bieten, als er selbst plözlich von einem namenlosen Unglüke betroffen wurde. Ins stille Sernftthal hat sich ein Bergsturz ergoßen, welcher den Haupttheil der blühenden Gemeinde Elm verschüttete.
Die Bewohner von Elm, welche vorzugsweise Viehzucht und Alpenkultur treiben und in den lezten Jahren auch der Ausbeutung der dortigen Schieferbrüche oblagen, sind als fleißige und genügsame Leute weithin bekannt. In der jüngsten Zeit sprach man wohl von Gefährdungen, welche das lokere Terrain am Tschingelberge oberhalb des Plattenberges für die untenher liegende Gemeinde Elm haben könnte; es erfolgte auch eine Untersuchung des Berges, welche einigen schüzenden Maßregeln rief; aber Niemand ahnte, daß das Verhängniß so schnell und in so schreklicher Weise sich erfüllen würde. Nachdem nämlich am Sonntag den 11. September Abends vorerst einige Erdschlipfe stattgefunden hatten, gerieth plözlich die ganze Bergwand in Bewegung und bedekte in einem Augenblike einen Theil des Dorfes Elm mit ihrem Trümmermeer. 114 Personen, 22 Wohnhäuser, 50 Ställe, 12 Magazine und Werkstätten sind verschüttet, und 10 bis 40 Meter hoch bedekt die grausige Schuttmasse nahezu einen Quadratkilometer des bestgepflegten Kulturlandes. Ganze Familien haben einen schauerlichen Tod gefunden, andere vermissen mehrere Familienglieder, dritte haben buchstäblich Alles verloren, was zum Leben nothwendig ist. Als die ersten kleinern Abstürze erfolgten, da eilte noch eine Anzahl der Bürger Elm's den entferntern Gemeindegenoßen zu Hilfe; sie alle aber wurden beim Rettungswerke vom Tode umfangen; keiner dieser Braven kehrte zu den Seinigen zurük. Unter den Hinterlaßenen befinden sich 17 meist arme Witwen mit Familie, 29 vaterlose, 3 mutterlose und 5 vater- und mutterlose Waisen. Neben dem Bergsturz von Goldau ist das Unglük von Elm das traurigste, welches unser Vaterland in diesem Jahrhundert betroffen hat. Noch zur Stunde droht das überhängende Gebirg den lezten Rest des Dorfes Elm zu verschütten, so daß die Einwohner aufs dringendste davor gewarnt werden mußten, ihre verlaßenen Wohnungen bis auf Weiteres wieder zu beziehen.
Die amtliche Schäzung der großen materiellen Verluste sind noch nicht beendigt, doch werden dieselben, auch wenn eine weitere Ablösung des Berges keine neuen Wunden mehr schlägt, mehr als eine Million Franken betragen, Dazu kommen die bedürftigen Hinterlaßenen, deren Ernährer und Stüzen im Schutte begraben liegen. Ihnen folgen diejenigen, welche, ohnehin in ärmlichen Verhältnissen lebend, ihre Wohnungen verlaßen mußten und, nunmehr auch des regelmäßigen Verdienstes im Plattenwerke entbehrend mit banger Sorge dem Winter entgegenbliken.
Das ganze Gemeinwesen von Elm ist in seinem Lebensnerv getroffen; und soll es wieder aus den Trümmern erstehen, so bedarf es einer Unterstüzung, welche die Kräfte seines Kantons, der sich kaum erst von den Folgen der Einäscherung seines Hauptortes erholt hat, weit übersteigt. Wir haben hier einen Nothfall vor uns, in welchem nur die vereinigten Kräfte des Schweizervolkes die tief Gebeugten wieder aufzurichten vermögen. Von jeher haben aber die Tage des Unglüks den Ring der Eidgenossen enger geschloßen, und wo die Noth am größten, da wurde auch stets der nationale Wahlspruch: „Einer für Alle und Alle für Einen“ zur opferfreudigen That.
Von dieser Gesinnung hat denn auch eine von uns auf den 21. September einberufene Konferenz, zu welcher sämmtliche Kantonsregierungen ihre Abgeordneten schikten oder schon zum Voraus den zu faßenden Beschlüßen zustimmten, neuerdings in erhebender Weise Zeugniß abgelegt. In Vollziehung der mit Einmuth gefaßten Beschlüße jener Konferenz richten wir andurch an die Kantonsregierungen und das gesammte Schweizervolk im In- und Auslande den Aufruf, Sammlungen veranstalten und uns deren Ertrag zur Unterstüzung der Gemeinde Elm einsenden zu wollen.
Die Organisation dieser Liebesgabensammlung soll durchaus dem Gutfinden der einzelnen Kantonsregierungen überlaßen sein; es braucht eine offizielle Organisation auch nicht einzutreten, wo bereits auf dem Wege privater Initiative in genügender Weise für die Sammlung gesorgt ist.
Da in den meisten Kantonen noch für weitere, namentlich durch Hagelschlag und Hochwasser veranlaßte Unglüksfälle Sammlungen entweder schon angeordnet sind oder noch angeordnet werden, so sprechen wir, Namens der Delegirten der Kantone, den Wunsch aus, die betreffenden Kantonsregierungen wollen dafür besorgt sein, daß bei daherigen zu veranstaltenden allgemeinen Subskriptionen den Gebern die Ausscheidung der für Elm bestimmten und der den Wasser- und Hagelbeschädigten zugedachten Gaben möglich gemacht werde, und daß somit der Wille der Geber seinen entsprechenden Ausdruk finden könne.
Schließlich bitten wir Sie, die speziell für Elm bestimmten Liebesgaben an uns einzusenden.
Getreue, liebe Eidgenossen!
Wir sind überzeugt, daß unser Aufruf offene Ohren und Herzen finden werde. Wird es auch nicht möglich sein, die grünen Matten wieder ans Tageslicht zu bringen, die unter den Bergen von Felsblöken liegen, noch dem Thale die dahingerafften Bewohner wieder zu geben, so werden sich doch Mittel und Wege finden, der verstümmelten Gemeinde Elm wieder eine sichere Stätte zu bereiten und ihren braven Einwohnern das Verbleiben in ihrem Lande möglich zu machen. Ihre Augen sollen wieder munter werden und ihre Herzen mit neuer Hoffnung sich beleben!
Wir empfehlen die schwer getroffenen Unglüklichen sammt uns und Euch, getreue liebe Eidgenoßen, in Gottes Machtschutz.
Bern, den 22. September 1881.
Im Namen des schweiz. Bundesrathes,
Der Budespräsident:
Droz.
Der Kanzler der Eidgenossenschaft:
Schieß
Exakte Abschrift, ohne Korrektur der uralten Deutsch-Regeln.
Leihgabe von Kaspar Rhyner-Sturm, Elm
Eine Schilderung des Bergsturzes: Beschreibungwww.brauchli.tv\Niederweningen\SeniorenReisen\2016/bergsturz.pdf [PDF, 157kB
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