Museum

1881
Aufruf zur Unterstützung von Elm

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Spendenaufruf des Bundesrats
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Spendenaufruf des Bundesrats

Museum

1881
Aufruf zur Unterstützung von Elm

Aufruf

zur

Unterstützung von Elm.

Der Schweizerische Bundesrath

an

das Schweizervolk.

Getreue, liebe Eidgenossen!

Nach­dem die Hoff­nun­gen, wel­che der dies­jäh­ri­ge schö­ne Stand der Früch­te des Bo­dens all­ge­mein er­weck­te, durch Ha­gel­schlag und Hoch­was­ser vie­ler­orts wie­der ver­nich­tet wor­den sind, war der Kan­ton Gla­rus, im­mer einer der Ers­ten, wo es gilt, ein­ge­tre­te­ne Noth zu lin­dern, eben da­ran, den ge­schä­dig­ten Mit­eid­ge­nos­sen sei­ne Hil­fe zu bie­ten, als er selbst plöz­lich von einem na­men­lo­sen Un­glü­ke be­trof­fen wur­de. Ins stil­le Sernft­thal hat sich ein Berg­sturz er­go­ßen, wel­cher den Haupt­theil der blü­hen­den Ge­mein­de Elm ver­schüt­te­te.

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Die Be­woh­ner von Elm, wel­che vor­zugs­wei­se Vieh­zucht und Al­pen­kul­tur trei­ben und in den lez­ten Jah­ren auch der Aus­beu­tung der dor­ti­gen Schie­fer­brü­che ob­la­gen, sind als flei­ßi­ge und ge­nüg­sa­me Leu­te weit­hin be­kannt. In der jüng­sten Zeit sprach man wohl von Ge­fähr­dun­gen, wel­che das lo­ke­re Ter­rain am Tschin­gel­ber­ge ober­halb des Plat­ten­ber­ges für die un­ten­her lie­gen­de Ge­mein­de Elm ha­ben könn­te; es er­folg­te auch eine Un­ter­su­chung des Ber­ges, wel­che eini­gen schü­zen­den Maß­re­geln rief; aber Nie­mand ahn­te, daß das Ver­häng­niß so schnell und in so schrek­li­cher Wei­se sich er­fül­len wür­de. Nach­dem näm­lich am Sonn­tag den 11. Sep­tem­ber Abends vor­erst eini­ge Erd­schli­pfe statt­ge­fun­den hat­ten, ge­rieth plöz­lich die gan­ze Berg­wand in Be­we­gung und be­dek­te in einem Augen­bli­ke einen Theil des Dor­fes Elm mit ih­rem Trüm­mer­meer. 114 Per­so­nen, 22 Wohn­häu­ser, 50 Stäl­le, 12 Ma­ga­zi­ne und Werk­stät­ten sind ver­schüt­tet, und 10 bis 40 Me­ter hoch be­dekt die grau­si­ge Schutt­mas­se na­he­zu einen Quad­rat­ki­lo­me­ter des best­ge­pfleg­ten Kul­tur­lan­des. Gan­ze Fa­mi­li­en ha­ben einen schau­er­li­chen Tod ge­fun­den, an­de­re ver­mis­sen meh­re­re Fa­mi­li­en­glie­der, drit­te ha­ben buch­stäb­lich Al­les ver­lo­ren, was zum Le­ben noth­wen­dig ist. Als die ers­ten klei­nern Ab­stür­ze er­folg­ten, da eil­te noch eine An­zahl der Bür­ger Elm's den ent­fern­tern Ge­mein­de­ge­no­ßen zu Hil­fe; sie al­le aber wur­den beim Ret­tungs­wer­ke vom To­de um­fan­gen; kei­ner die­ser Bra­ven kehr­te zu den Sei­ni­gen zu­rük. Un­ter den Hin­ter­la­ße­nen be­fin­den sich 17 meist ar­me Wit­wen mit Fa­mi­lie, 29 va­ter­lo­se, 3 mut­ter­lo­se und 5 va­ter- und mut­ter­lo­se Wai­sen. Ne­ben dem Berg­sturz von Gol­dau ist das Un­glük von Elm das trau­rig­ste, wel­ches un­ser Va­ter­land in die­sem Jahr­hun­dert be­trof­fen hat. Noch zur Stun­de droht das über­hän­gen­de Ge­birg den lez­ten Rest des Dor­fes Elm zu ver­schüt­ten, so daß die Ein­woh­ner aufs drin­gend­ste da­vor ge­warnt wer­den muß­ten, ih­re ver­la­ße­nen Woh­nun­gen bis auf Wei­te­res wie­der zu be­zie­hen.

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Die amt­li­che Schä­zung der gro­ßen ma­te­ri­el­len Ver­lu­ste sind noch nicht be­en­digt, doch wer­den die­sel­ben, auch wenn eine wei­te­re Ab­lösung des Ber­ges kei­ne neu­en Wun­den mehr schlägt, mehr als eine Mil­li­on Fran­ken be­tra­gen, Da­zu kom­men die be­dürf­ti­gen Hin­ter­la­ße­nen, de­ren Er­näh­rer und Stü­zen im Schut­te be­gra­ben lie­gen. Ih­nen fol­gen die­je­ni­gen, wel­che, oh­ne­hin in ärm­li­chen Ver­hält­nis­sen le­bend, ih­re Woh­nun­gen ver­la­ßen muß­ten und, nun­mehr auch des re­gel­mä­ßi­gen Ver­dien­stes im Plat­ten­wer­ke ent­beh­rend mit ban­ger Sor­ge dem Win­ter ent­ge­gen­bli­ken.

Das gan­ze Ge­mein­we­sen von Elm ist in sei­nem Le­bens­nerv ge­trof­fen; und soll es wie­der aus den Trüm­mern er­ste­hen, so be­darf es einer Un­ter­stü­zung, wel­che die Kräf­te sei­nes Kan­tons, der sich kaum erst von den Fol­gen der Ein­äsche­rung sei­nes Haupt­or­tes er­holt hat, weit über­steigt. Wir ha­ben hier einen Noth­fall vor uns, in wel­chem nur die ver­einig­ten Kräf­te des Schwei­zer­vol­kes die tief Ge­beug­ten wie­der auf­zu­rich­ten ver­mö­gen. Von je­her ha­ben aber die Ta­ge des Un­glüks den Ring der Eid­ge­nos­sen en­ger ge­schlo­ßen, und wo die Noth am größ­ten, da wur­de auch stets der na­tio­na­le Wahl­spruch: „Einer für Al­le und Al­le für Einen“ zur opfer­freu­di­gen That.

Von dieser Ge­sin­nung hat denn auch eine von uns auf den 21. Sep­tem­ber ein­be­ru­fe­ne Kon­fe­renz, zu wel­cher sämmt­li­che Kan­tons­re­gie­run­gen ih­re Ab­ge­ord­ne­ten schik­ten oder schon zum Vor­aus den zu fa­ßen­den Be­schlü­ßen zu­stimm­ten, neu­er­dings in er­he­ben­der Wei­se Zeug­niß ab­ge­legt. In Voll­zie­hung der mit Ein­muth ge­faß­ten Be­schlü­ße je­ner Kon­fe­renz rich­ten wir an­durch an die Kan­tons­re­gie­run­gen und das ge­samm­te Schwei­zer­volk im In- und Aus­lan­de den Auf­ruf, Samm­lun­gen ver­an­stal­ten und uns de­ren Er­trag zur Un­ter­stü­zung der Ge­mein­de Elm ein­sen­den zu wol­len.

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Die Or­ga­ni­sa­ti­on die­ser Lie­bes­ga­ben­samm­lung soll durch­aus dem Gut­fin­den der ein­zel­nen Kan­tons­re­gie­run­gen über­la­ßen sein; es braucht eine of­fi­zi­el­le Or­ga­ni­sa­ti­on auch nicht ein­zu­tre­ten, wo be­reits auf dem We­ge pri­va­ter Ini­tia­ti­ve in ge­nü­gen­der Wei­se für die Samm­lung ge­sorgt ist.

Da in den meis­ten Kan­to­nen noch für wei­te­re, na­ment­lich durch Ha­gel­schlag und Hoch­was­ser ver­an­laß­te Un­glüks­fäl­le Samm­lun­gen ent­we­der schon an­ge­ord­net sind oder noch an­ge­ord­net wer­den, so spre­chen wir, Na­mens der De­le­gir­ten der Kan­to­ne, den Wunsch aus, die be­tref­fen­den Kan­tons­re­gie­run­gen wol­len da­für be­sorgt sein, daß bei da­he­ri­gen zu ver­an­stal­ten­den all­ge­mei­nen Sub­skrip­tio­nen den Ge­bern die Aus­schei­dung der für Elm be­stimm­ten und der den Was­ser- und Ha­gel­be­schä­dig­ten zu­ge­dach­ten Ga­ben mög­lich ge­macht wer­de, und daß so­mit der Wil­le der Ge­ber sei­nen ent­spre­chen­den Aus­druk fin­den kön­ne.

Schließ­lich bit­ten wir Sie, die spe­zi­ell für Elm be­stimm­ten Lie­bes­ga­ben an uns ein­zu­sen­den.

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Getreue, liebe Eidgenossen!

Wir sind über­zeugt, daß un­ser Auf­ruf of­fe­ne Oh­ren und Her­zen fin­den wer­de. Wird es auch nicht mög­lich sein, die grü­nen Mat­ten wie­der ans Ta­ges­licht zu brin­gen, die un­ter den Ber­gen von Fels­blö­ken lie­gen, noch dem Tha­le die da­hin­ge­raff­ten Be­woh­ner wie­der zu ge­ben, so wer­den sich doch Mit­tel und We­ge fin­den, der ver­stüm­mel­ten Ge­mein­de Elm wie­der eine si­che­re Stät­te zu be­rei­ten und ih­ren bra­ven Ein­woh­nern das Ver­blei­ben in ih­rem Lan­de mög­lich zu ma­chen. Ih­re Augen sol­len wie­der mun­ter wer­den und ih­re Her­zen mit neu­er Hoff­nung sich be­le­ben!

Wir em­pfeh­len die schwer ge­trof­fe­nen Un­glük­li­chen sammt uns und Euch, ge­treue lie­be Eid­ge­no­ßen, in Got­tes Macht­schutz.

Bern, den 22. September 1881.

Im Namen des schweiz. Bundesrathes, Der Budespräsident:
Droz.
Der Kanzler der Eidgenossenschaft:
Schieß


Exakte Abschrift, ohne Korrektur der uralten Deutsch-Regeln.

Leihgabe von Kaspar Rhyner-Sturm, Elm


Eine Schilderung des Bergsturzes: Beschreibungwww.brauchli.tv\Niederweningen\SeniorenReisen\2016/bergsturz.pdf [PDF, 157kB


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